Die Hufsprechstunde

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Tanja Richter und die Hufschmiede

In „Der Huf“ 152 (2011), 10-21 berichtet Tanja Richter (Humanheilpraktikerin mit Pferdephysiotherapie-Fahrpraxis mit anschließender Herausgabe der Zeitschrift „Pferdephysiotherapie“ und Gründung eines Instituts für Pferdephysiotherapie) über den Zusammenhang von Hufbalance mit dem körperlich-muskulären Spannungs- und/oder Trainignszustand des Pferdes. Daß dieser Zusammenhang besteht, kann ich aus Hufschmiedessicht bestätigen, nicht bestätigen kann ich einige Aussagen und Schlussfolgerungen von Richter:
1)Wie ein Pferd stehen sollte (Schulterwinkel = Fesselwinkel; Hinterhuf steiler wie Vorderhuf; Zehenachse von vorne ungebrochen) [pp.11-12] ist nicht entscheidend: „sollte“ beschreibt den Idealzustand, den viele Pferde vom Körperbau einfach nicht haben. So sind oft die Hinterhufe steiler als die Vorderhufe aufgrund des vorgegebenen Gebäudes bzw. Fesselstandes, nicht aufgrund des Spannungszustandes.
2)Dahinter steht das Problem: was ist „erworbene“ Gliedmaßen-, Zehen- oder Hufstellung, was ist „fixierte“ d.h. vorgegebene Stellung. Für Richter scheinen alle Hufstellungen erworben, für mich sind die Mehrzahl der Hufstellungen „fixiert“, der geringere Teil ist „erworben“. Ich stimme Richter insbes. bei den „flachen“ Hinterhufen (d.h. Zehenachse nach hinten gebrochen) zu, die gerne mit Spannungsproblemen in Hüfte/Rücken vergesellschaftet sind [so bei Pferd bearbeitet nach Strasser, p.18, Abb. 15].
3)Deshalb ist Richters Schlussfolgerung „eine bodenweite und bodenenge Stellung halte ich immer für pathologisch“ [p.12] m.E. falsch; dagegen spricht schon die konkret vorkommenden Gliedmaßenstellungen bei Pferden: bodenweit 0 %, bodeneng (inkl. Kombinationen) vorne 66 %, hinten 88 %; m.E. sind Abweichungen in der Gliedmaßen-, Zehe- und Hufstellung d a n n pathologisch, wenn der Huf seine (angepaßte) Form (= Balance) nicht erhalten kann, dem übertragenen Druck nicht standhalten kann und sich deutlich umformt - z.B. wenn Trachten kollabieren, Hufwände umknicken und untergeschoben werden, Eckstreben nicht mehr gestreckt verlaufen, Ballen und Kronrand einseitig hochgestaucht werden. Ein stabiler halbeng-halbweit Huf aufgrund einer entsprechenden Gliedmaßen- oder Zehenstellung ist nicht pathologisch !
4)Bei einer echten bodenengen Gliedmaßenstellung flacht das Außenhorn n i c h t ab [so p.16], sondern die Außenwand wird steiler, die Wand der medialen Hufhälte wird flach-lang.
5)Ein Pferd [p.17, Abb.11] soll eine flache Huf-Außenwand zeigen (rechte Gliedmaße); ich sehe ein bodenenge Gliedmaßenstellung, kombiniert mit zehenweiter Zehenstellung – eine evtl. axiale Drehung der Zehe bzw. Röhre läßt sich mit dem einen Bild nicht genau belegen. Jedenfalls ist die laterale (äußere) Wand des Hufes mitnichten flach, vielmehr steil, sogar geringgradig steiler als die Innenwand.
6)Ein Pferd [p.17, Abb.12] soll aufgrund einer „hochgeschobenen steilen Hufwand innen“ eine „bodenenge Stellung“ der linken Hintergliedmaße zeigen. Ein solcher Huf (innen steil + hochgestaucht) gehört n i e m a l s zu einer rein „bodenengen Stellung“, sondern zu einer Stellung, die die mediale/innere Hufseite vermehrt belastet und das sind: a) bodenweite Gliedmaßenstellung, b) zehenweite Zehenstellung oder c) diagonal nach innen gedrehte Hufstellung (oder eine Kombination davon). Das bedeutet: aus der Form / Verformung des Hufs (sein Druckbild) kann nicht d i r e k t die Gliedmaßen oder Zehenstellung abgeleitet werden !
7)Ein Pferd [p.20, Abb.17] zeige „schwere Balancefehler in den Vorderhufen durch schlechte Schmiedearbeit“, „der bodenweit zeheneng gestellte Huf, der so oftmals von unkonzentrierten Schmieden hinterlassen wird, da dies beim Beschnitt weit zur Seite ziehen und so die mediolaterale Balance des Hufes nicht richtig einschätzen können...“ ; einen bodeneng-zehenweiten Huf gibt es nicht: b o d e n eng bezieht sich immer auf die Gliedmaßenstellung, z e h e n eng bzw. -weit auf die Zehenstellung. Dieses Pferd zeigt (soweit am Foto zu sehen) eine sehr markante Zehen- und Hufstellung, die nicht nur von T. Richter, sondern auch von vielen Hufxperten nicht richtig erkannt wird; die Zehenstellung (Ausrichtung der gesamten Zehe gemäß Fesselknochen) ist leicht zehenweit, kombiniert mit einer Hufstellung, die wir „diagonal nach innen gedreht“ nennen. Beide Abweichungen produzieren eine Mehrbelastung der inneren Hufhälfte bzw. -trachte, w e n n die Gliedmaßenstellung regelmäßig ist. Ein Hufschmied kann eine solche Stellung gar nicht produzieren, seine angebliche Unfähigkeit das „Trachtenlängenverhältnis“ aufgrund seiner Arbeitsposition (Huf zwischen die Beine geklemmt) richtig zu beurteilen, ist ein Quatsch – T. Richter möge sich mal konkret anschauen, wie ein Hufschmied das Trachtenlängenverhältnis in welcher Körperhaltung beurteilt; ein weites Herausziehen des Beines während der Arbeit ist schon mal falsch und beurteilt wird das locker in der Hand gehaltene Bein ohne Spannung der Gliedmaße nach außen ! Ein Zusammenhang von Arbeitshaltung mit falscher Beurteilung des Trachtenlängenverhältnisses wird für englische Schmiede behauptet – was die machen weiß ich nicht; ich kann hierzulande nichts dergleichen nachvollziehen. Die Interpretation der quantitativen Verhältnisse über das Vorkommen von Gliedmaßenabeweichungen schließen Ausschneidefehler als Ursache der diagonalen Drehung aus (vgl. ausführlich Wandruszka, Der diagonale Huf, 2011, pp.133-139, hier bes. p.139)

Richters Aufruf, daß Reitweise/Haltung des Pferdes, Arbeit des Hufschmiedes und des TA ineinandergreifen müssen ist vollkommen richtig, ihre Kenntnis von den Zusammenhängen Huf mit Gebäude sind leider teilweise fehlerhaft und deshalb ihre Analysen ebenso; m.E. überbewertet sie die Möglichkeiten des Hufschmiedes – deshalb bleibt die schlechte, mittelmäßige oder gute Arbeit des Schmiedes bei einem gut oder mittelmäßig gearbeiteten Pferd eine theoretische Ausführung …; es bleibt zu diskutieren, wann Abweichungen der Gliedmaße, der Zehe und des Hufes erworben oder eben fixiert sind und in welchem Maße diese überhaupt „korrigiert“ werden können. Dazu muß man aber des Beurteilungssystem des des Gebäudes, insbes. der Gliedmaßen verstanden haben.

eingetragen am 19.11.2011, 14:48 Uhr

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